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Tag 23: Cee - Fisterra

Ich hatte eine furchtbare Nacht. Das Zimmer muffig, mein Körper hat gejuckt, es war zu warm. Zu viele Gedanken. Morgens habe ich gewisse Anlaufschwierigkeiten und noch keine Idee, wie sich das Blattwenden wird.
Ein harter Aufstieg lässt mich daran erinnern, wie anstrengend Pilgern sein kann…
Der Weg ist schön, geht größtenteils durch Wälder. Ab und zu sieht man mal irgendwo das mehr weit in der Ferne.
Was sich nach 2,5 Stunden offenbart, ist die Wucht. Tom und andere Pilger haben Fisterra und Muxia als das Dessert des Caminos beschrieben. Für mich war 2021 die Pilgerreise in Santiago gefühlt beendet. Dieses Mal irgendwie auch. Aber
zum Glück habe ich den Rückflug vorab gebucht. Ich habe also noch eine ganze Woche Zeit.
Das menschliche Gehirn kennt unzählige Wege, den wichtigen und unangenehmen Prozessen aus dem Weg zu gehen. Und die sollen noch kommen. Zum Dessert 🙈
Ich laufe den Weg entlang und sehe in der Ferne nichts mehr. Beim Näherkommen entpuppt sich das Nichts als das Meer.
Ich biege um die Ecke und habe einen atemberaubenden Blick auf Fisterra…
Buchten atemberaubender Schönheit säumen den Weg…
Buchten atemberaubender Schönheit säumen den Weg…
Ich komme am Strand an und das Meer ruft mich. Irgendetwas hält mich davon ab, wie die meisten anderen Pilger, einfach ins Meer zu springen. Alle laufen weiter, getrieben so wie ich bis JETZT.
 Ich halte an, halte inne. Stop! ich erinnere mich an den großen Anthony Hopkins:
Das ist einer der wertvollsten und wunderbarsten Momente meines Lebens.
Ich setze meinen geliebten Rucksack ab, stelle meine treuen Schuhe in den Sand. Ich zelebriere diesen einzigartigen Moment.
Ich bringe ins Meer, spüre das angenehme kühle Nass und nehme wahr, dass ich lebe und dass ich lebendig bin.
Wow. Eine Glückseligkeit ergreift mich wie selten zuvor!
Ich laufe weiter durch das Wasser und atme Leben.
Nach einem Gin Tonic zur Feier des Tages möchte ich jetzt samt Rucksack hoch zum Kap Finisterre. Zum berühmten Stein mit Kilometer 0,0 und zum Leuchtturm. Ich werde auch diese letzten knapp 3,5 km steilen Aufstieg mit ihm gemeinsam gehen. Er hat mich treu begleitet und natürlich mache ich das mit ihm.
Das Kap de Fisterra ist ein magischer Ort. Ich denke nicht, dass er auf die vielen Touristen hier die gleiche Wirkung hat wie auf die Pilger, die ihren Rucksackmehrere Hundert Kilometer über den Jakobsweg getragen haben und glückselig am legendären 0,0km Wegstein ankommen. Fisterra bedeutet soviel wie „Das Ende der Welt“,  Rund 90 Kilometer von Santiago de Compostela entfernt, galt dieser mystische von Sagen und Legenden umwobene Ort tatsächlich als das Ende der – bisdahin – bekannten Welt.

Nach mittelalterlicher Tradition zogen die Jakobspilger nach ihrer Ankunft in Santiago de Compostela und dem Besuch der Kathedrale weiter ans Kap Finisterre, um an den Klippen ihre zerschlissene Pilgerkleidung zu verbrennen und um eine Jakobsmuschel zu sammeln, die als Beweis für die Pilgerschaft dienen sollte.

Eine Jakobsmuschel habe ich nicht gefunden und ich werde einen Teufel tun und meine Kleidung zu verbrennen. Aber die Magie ist zu spüren. Ein weiterer Moment echter Demut ergreift mich.

Nach einiger Zeit gehe ich zurück in den Ort um mein Zimmer zu beziehen. Zwischendurch treffe ich einige Pilger, die ich vor einiger Zeit getroffen habe. 

Abends gehe ich eine Schickimicki-Bar mit Chillout-Musik, in der ich mich zugegebenermaßen total deplatziert fühle. Warum bin ich da? Weil es dort einen der besten Ausblicke auf den legendären Sonnenuntergang gibt. 

Eine junge Pilgerin schneit herein. Agatha aus Polen. Sie schaut sich total verloren um, unsere Blicke treffen sich. Pilger erkennen sich gegenseitig. Ich bringe sie herbei und wir haben eine nette Stunde zusammen. 
Abends treffe ich noch ein paar Pilgerfreunde  in einer echt netten Hippie-Bar. Man fühlt sich in die 68er zurückversetzt. Love, Peace, Freedom. Klasse Atmosphäre. Ich verabschiede mich vorzeitig ins Bett, nichtsahnend, was mich am nächsten Tag erwartet.